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Meinung

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Der Überläufer

Lennart Bengtsson: «Ich bin frustriert von unserer Unfähigkeit, Prognosen zu treffen.»

Ein Leben lang versuchte Lennart Bengtsson, Wetter und Klima genauer vorauszusagen. Am Ende seiner über 50-jährigen Forscherlaufbahn sagt er: «Ich bin frustriert von unserer Unfähigkeit, Prognosen zu treffen.»

Das Eingeständnis hat Bengtssons Karriere nicht beeinträchtigt. Der schwedische Meteorologe lehrte in den USA, Kanada, Japan, China, leitete das Hamburger Max-Planck-Institut und das Berner Raumfahrt-Institut. Unter Wissenschaftlern gilt Bengtsson als Autorität, die Liste seiner Publikationen füllt mehrere Seiten.

Wer nicht Meteorologie studiert hat, der gibt schon beim Lesen der Titel auf. Zu kompliziert. Nun, mit 79 Jahren, hat Bengtsson einen Schritt gemacht, den auch Laien verstehen. Er wechselt vom Lager der Klimawarner in jenes der Klimaskeptiker. Damit drängt er ins Zentrum einer aufgeheizten Debatte. Anfeindungen hageln auf ihn herunter. Bengtsson, den Kollegen als umgänglich schildern, hält diplomatisch, aber deutlich dagegen.

Grund für die Aufregung: Bengtsson ist der Global Warming Policy Foundation (GWPF) beigetreten, einer Lobbyorganisation, die «politische Überreaktionen aufgrund des Klimawandels» bekämpfen will. Gegründet hat sie der britische Konservative Nigel Lawson, ehemaliger Finanzminister unter Margaret Thatcher. Lawson schimpft die globale Erwärmung eine «Religion», die «ein Körnchen Wahrheit und einen Berg von Unsinn enthält». Für GWPF arbeiten mehrere Wissenschaftler, die jeden Zusammenhang zwischen Klimawandel und menschlichem Handeln bestreiten. Einigen wird vorgeworfen, ihre Thesen mit frisierten Daten zu stützen.

Viele Klimawarner sind enttäuscht

Dass sich ein sachlicher Forscher wie Bengtsson einer politischen Kampftruppe anschliesst, enttäuscht viele Klimawarner. Ein deutscher Physiker verglich den Schritt mit einem Beitritt zum Ku-Klux-Klan. Bengtsson entgegnete, die Klimawarner litten an ideologischer Verblendung.

Die Verwirrung ist umso grösser, als die Klimawarner Bengtsson als einen von ihnen ansahen. Ende der 90er-Jahre pries er an einer Preisverleihungsrede in Deutschland die mannsche Hockeyschlägerkurve als eine der wichtigsten wissenschaftlichen Grafiken des 20. Jahrhunderts. Die umstrittene Kurve, welche die Erderwärmung darstellt, diente Klimawarnern wie Al Gore lange als zentrales Argument.

Ganz überraschend kam Bengtssons Frontenwechsel trotzdem nicht. In den letzten Jahren warnte er mehrmals, dass überhastete Massnahmen zur CO2-Reduktion der Wirtschaft schadeten. Kürzlich schrieb er in der NZZ: «Bevor man radikale Änderungen am Energiesystem vornimmt, muss es robuste Beweise für einen beträchtlichen Klimawandel geben. Davon sind wir noch weit entfernt.» Damit widerspricht er dem UNO-Klimarat, einem Gremium, das aus Hunderten von Wissenschaftlern besteht.

In Interviews erklärt Bengtsson, seine Position nicht geändert zu haben. Schon immer habe er sich als Skeptiker verstanden, der Gewissheiten hinterfrage. Der UNO-Klimarat neige dazu, einen Konsens zu erzwingen. Das sei aufgrund der heutigen Erkenntnisse nicht wissenschaftlich. Die Forschung sei nicht in der Lage, das Klima über Jahrzehnte vorauszusagen. Und vielleicht könne er Mitgliedern des GWPF eine andere Sicht aufzeigen.

Seine ehemaligen Freunde überzeugen Bengtssons Argumente nicht. Sie rätseln über andere Motive. Geld? Ruhm? Nichts ergibt Sinn. Bengtsson verhält sich so unvorhersehbar wie die von ihm erforschten Phänomene.